Bürger- und Jugendbeteiligung

Kein Politikbereich betrifft die Bürger so unmittelbar wie die Kommunalpolitik. Umso wichtiger ist, dass es für alle geeignete Partizipationsmöglichkeiten gibt. Die Bürgerbeteiligungssatzung der Stadt Gießen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass die darin festgelegten Mitwirkungsmöglichkeiten bislang nur von wenigen Gruppen und Einzelpersonen genutzt werden. Dennoch begrüßen wir ausdrücklich die beabsichtigte Bürgerbeteiligung und fordern ihre Weiterentwicklung im politischen Handeln, beispielsweise durch die Nutzung der Chancen, die die Digitalisierung bietet. Für uns ist Bürgerbeteiligung keine Floskel, sondern sie muss gelebt werden.

Livestream der Stadtverordnetenversammlung

Bürgerbeteiligung erfordert Transparenz. Nur wenn sich die Bürger ausreichend und einfach informieren können, können sie vernünftige Entscheidungen treffen. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Sitzungen der Stadtverordneten aufgrund der geltenden Hygieneregeln oder aus Besorgnis um ihre Gesundheit nicht vor Ort verfolgt haben. Auch deshalb fordern wir seit Jahren und so auch weiterhin, unverzüglich einen Online-Livestream der Stadtverordnetensitzungen der Stadt Gießen einzuführen. Dieser ermöglicht es jedermann, einfach und unkompliziert die aktuellen kommunalpolitischen Debatten zu verfolgen. Die mit den Persönlichkeitsrechten der Stadtverordneten begründete wiederholte Ablehnung eines solchen Mittels können wir nicht nachvollziehen.

Wir sind der Überzeugung, dass die Personen, die für ein öffentliches Amt kandidieren und in öffentlichen Sitzungen als gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Gießener Bevölkerung auftreten, auch akzeptieren müssen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Redebeiträge und Abstimmungen möglichst einfach und barrierefrei verfolgen können. Für Personen in öffentlichen Ämtern in öffentlichen Sitzungen müssen für die Persönlichkeitsrechte andere Maßstäbe gelten als für den „normalen" Bürger.

Bürgerbeteiligung 2.0 – Barrierefrei und digital

Bürgerbeteiligung muss einfacher und barrierefreier werden, damit möglichst alle Gießenerinnen und Gießener partizipieren können. Die aktuellen Formerfordernisse der Bürgerbeteiligungssatzung und das aufwändige Verfahren für Anfragen sind antiquiert. Wie in so vielen Bereichen der städtischen Verwaltung ist auch hierbei in Sachen Digitalisierung bislang zu wenig passiert. Dies muss sich ändern! Wir fordern daher, die Instrumente zur Bürgerbeteiligung weiter zu digitalisieren. Als Plattform soll dabei die „Gießen App“ dienen, sodass künftig Bürgerbeteiligung auch bequem mit dem Smartphone möglich sein wird. Ebenfalls in die „Gießen App“ soll der städtische Mängelmelder integriert werden, durch den Bürgerinnen und Bürger im öffentlichen Raum beobachtete Mängel aller Art (Schmierereien, Verschmutzung, Müll etc.) melden können und im Nachgang über deren Beseitigung beispielsweise durch Push-Nachricht informiert werden. Darüber hinaus soll analog zum Mängelmelder eine weitere im Vergleich zu den Instrumenten der Bürgerbeteiligungssatzung niedrigschwelligere Form der Bürgerbeteiligung implementiert werden: Künftig soll es den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur möglich sein, Mängel der öffentlichen Ordnung zu melden, sondern auch Verbesserungsvorschläge und Ideen für die Stadtgestaltung einzubringen und auch die Ideen anderer positiv zu bewerten, um ihnen ein besonderes Gewicht zu verleihen. Darüber hinaus müssen auch die Rahmenbedingungen für Bürgerentscheide als das direkteste Mittel der Bürgerbeteiligung geschaffen werden. Diese sollen ebenfalls online (und soweit nicht anders möglich analog) durchgeführt werden, um Kosten zu sparen und Partizipation zu erleichtern. Auch hierbei ist es erforderlich, dass künftig jede Gießenerin und jeder Gießener ab 14 Jahren entsprechende Zugangsdaten erhält, die sicherstellen, dass sich daran nur Bürgerinnen und Bürger der Stadt beteiligen können.

 

 

Ein Update für die Gießen App – „Rathaus To-Go“

Auch mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen bedarf die Gießen App eines größeren Updates, insbesondere auch zur Einrichtung eines durch Log-In geschützten „internen Bereichs“ für die Gießenerinnen und Gießener, wo sie die oben angeführten Instrumente der Bürgerbeteiligung finden können. Weiterhin soll mit der App verstärkt über das politische Geschehen in der Stadt informiert werden. Die Möglichkeiten zur Nutzung des „Digitalen Rathauses“ sind ebenfalls in die App zu implementieren. Künftig soll es daher möglich sein, dass jede Gießenerin und jeder Gießener, insbesondere auch die Neubürgerinnen und -bürger unserer Stadt, einfach und übersichtlich über die Gießen App alle wichtigen Informationen rund um das Stadtgeschehen erhalten können. Die Notwendigkeit des physischen Besuches im Rathaus soll daher die Ausnahme sein. Insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Studierendenzahl in Gießen soll auch die Zusammenarbeit mit den Gießener Hochschulen intensiviert werden, sodass über die Gießen App auch möglichst einfach auf die Angebote der Hochschulen (interne Bereiche, Speisepläne, Bibliotheksöffnungszeiten, Bücherausleihe, Fahrradausleihe etc.) zugegriffen werden kann. Dies soll sich nicht nur auf eine bloße Verlinkung zu den Homepages der Hochschulen beschränken, sondern vielmehr muss es das Ziel sein, dass die App möglichst viele Angebote innerhalb der Stadt zusammenfasst und daher einen echten Mehrwert liefert. Um die Gießen App weiter bekannt zu machen, soll durch die Stadt auch verstärkt auf ihre Existenz und ihren Mehrwert im Rahmen des Marketings hingewiesen werden.

Kinder- und Jugendparlament – „Mehr Demokratie wagen!“

Ebenso wie die Weigerung der Regierungskoalitionen der letzten 10 Jahre gegen die Einführung eines Livestreams bleibt uns Freien Demokraten auch die Ablehnung eines Kinder- und Jugendparlaments völlig unverständlich. Insbesondere das Programm „Jugend im Rathaus“ kann hierfür kein Ersatz sein. Wir möchten nicht, dass sich Jugendbeteiligung darauf beschränkt, Jugendliche durch das Rathaus zu führen und sie Fragen an die Kommunalpolitikerinnen und -politiker stellen zu lassen, sondern wir möchten sie – buchstäblich – beteiligen. Daher setzen wir uns dafür ein, in Gießen die von der Hessischen Gemeindeordnung geforderte Jugendbeteiligung durch ein Kinder- und Jugendparlament nach Vorbild des Vogelsbergkreises zu ermöglichen. Hierzu sollen alle Kinder und Jugendlichen ab dem Alter von 12 Jahren in einem Turnus von 2 Jahren aufgerufen werden, sich aktiv oder passiv an der Wahl einer eigenen Interessenvertretung zu beteiligen. Das hieraus entstehende Kinder- und Jugendparlament soll durch den Magistrat der Stadt Gießen aktiv bei seiner Arbeit unterstützt werden. Darüber hinaus soll einem durch das Kinder- und Jugendparlament gewählten Vertreter oder einer Vertreterin Rederecht sowie dem Parlament als Gremium Antragsrecht im Rahmen der Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung verliehen werden, sodass zwischen dem Kinder- und Jugendparlament und dem Gießener Stadtparlament eine unmittelbare Schnittstelle entsteht. Hierdurch werden bereits früh demokratische Prinzipien vermittelt und den Kindern und Jugendlichen eine Einflussmöglichkeit auf die Politik ihrer Stadt eingeräumt.

Planspiel „Politik hautnah“

Ergänzend zum Kinder- und Jugendparlament soll einmal im Jahr ein Planspiel „Politik hautnah“ im Stadtverordnetensitzungssaal mit Jugendlichen der Jahrgangsstufe 9 stattfinden. In dessen Rahmen soll mit den Teilnehmern an einem Samstag die Arbeit im Parlament simuliert werden. Per Zufall in unterschiedliche Fraktionen aufgeteilt, bietet sich so die Möglichkeit, den Politikbetrieb kennenzulernen, die Kinder und Jugendlichen für politische Partizipation zu begeistern und dem politischen Bildungsauftrag nachzukommen. In diesem Kontext soll auch auf das Kinder- und Jugendparlament hingewiesen werden, um das Interesse hieran zu wecken. Organisation und Durchführung sollen in enger Abstimmung mit dem Kinder- und Jugendparlament erfolgen, idealerweise mit Unterstützung durch das Stadtverordnetenbüro.